Gedenkzeichen
Kopf und Herz zum Stolpern gebracht
Nach 2012 und 2014 wurden nun zum dritten Mal Stolpersteine für die Opfer der NS-Zeit in Crailsheim verlegt. Der Künstler Gunter Demnig ließ 19 Steine an sechs ausgewählten Standorten in das Pflaster ein.
Monika Schneck, deportiert Auschwitz, ermordet 6.1.1944. Beate Metzger, deportiert 1941, Riga, ermordet. Alfred Stein, Flucht 1939, USA. Drei Schicksale, die zum Nachdenken zwingen, die innehalten lassen, bei denen einem der Atem stockt. Und doch sind es nur drei von insgesamt 19 – eine Zahl, die zeigt, dass auch in Crailsheim die NS-Zeit ihre Spuren hinterlassen hat. Auf die Lebensgeschichten, die hinter diesen Namen stecken, machen nun die neu verlegten Stolpersteine aufmerksam. Bei näherer Betrachtung wird schnell klar, dass die Schicksale allesamt etwas gemeinsam haben: Verfolgung, Ermordung, Deportation, Vertreibung. Die Namen und Daten auf den quadratischen Messingplatten sollen an diejenigen Menschen erinnern, die Opfer der NS-Zeit geworden sind. Dass sich Passantinnen und Passanten etwas hinunter bücken müssen, um die eingravierte Schrift lesen zu können, ist dabei sogar gewollt – eine symbolische Verbeugung vor den Opfern, wie es Künstler Gunter Demnig beschreibt.
Mitnichten jedoch dienen die Stolpersteine in der Crailsheimer Innenstadt dazu, Passantinnen und Passanten zu Fall zu bringen. Dies wurde bei der Verlegung der 19 neuen Betonsteine vorige Woche schon daran deutlich, dass der Demnig sie sorgfältig und ebenmäßig in das Pflaster der sechs neuen Standorte eingelassen und somit jegliche Stolpergefahr gebannt hat – bei der Betrachtung der Steine stolpere man vielmehr mit dem Kopf und dem Herzen, so der Künstler.
Dritte Verlegung in Crailsheim
Die Stolpersteine sind inzwischen die am weitesten verbreitete Form der Erinnerung an das Schicksal von Menschen, die während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in den Jahren 1933 bis 1945 vertrieben, deportiert oder ermordet wurden. In Crailsheim wurden bereits 2012 und 2014 die ersten Messingplatten ins Pflaster eingelassen. „Die Standorte orientieren sich dabei an den früheren Wohnorten der NS-Opfer“, sagte Stadtarchivar Folker Förtsch, der die Verlegung begleitet und moderiert hat, und dankte zugleich dem Künstler sowie Jürgen Butz vom städtischen Baubetriebshof für ihr Engagement. Zum Start der Verlegung trafen sich Interessierte, Mitglieder des Gemeinderates und auch die Schülerinnen und Schüler der neunten Klassen des Lise-Meitner-Gymnasiums am Kreisklinikum – letztere haben gemeinsam mit der Initiative "Erinnerung und Verantwortung" und dem Stadtarchiv die Biographien der einzelnen Personen recherchiert und aufbereitet und hielten bei der Verlegung kurze Vorträge mit musikalischer Begleitung. „Es freut mich sehr, dass auch viele der Patinnen und Paten anwesend sind“, meinte Förtsch – jeder Stolperstein koste nämlich 120 Euro und sei von verschiedenen Privatpersonen, Schulklassen, Fraktionen und auch von Oberbürgermeister Dr. Christoph Grimmer gespend
Klinikum und Gartenstraße
Norbert Schneck und seine Mutter Monika Schneck waren die ersten Personen, für die zwei Steine am Altbau des Klinikums ins Pflaster eingelassen wurden. Norbert Schneck wurde 1933 im Bezirkskrankenhaus Crailsheim geboren. Er und seine Mutter wurden aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Sinti- und Roma-Gemeinschaft verfolgt, ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert und 1943 bzw. 1944 ermordet. Ein paar Meter weiter, an der Gartenstraße 12, gingen die Schüler auf die Biographien von Louis, Luise und Beate Mezger ein, die dort bis 1939 gewohnt haben. Der Viehhändler Louis Mezger wurde am 5. September 1885 in Crailsheim geboren, heiratete 1919 Luise Friedmann und 1920 kam ihre Tochter Beate Mezger zur Welt. Bei der Verhaftungswelle in Folge der Reichspogromnacht wurde auch Louis Mezger verhaftet und ins KZ Dachau verschleppt. Nach einem Monat wurde er entlassen und die Familie plante ihre Auswanderung, die jedoch nicht realisiert werden konnte. 1941 wurden die Drei nach Riga deportiert, der Vater wurde später im KZ-Außenlager Kaufering ermordet, die Mutter in Stutthof und die Tochter in Riga.
Zwei Steine in der Webergasse
Nach einem kurzen Spaziergang in die Webergasse ging es dort mit der Stolperstein-Verlegung für Paula und Irma Goldstein weiter. Irma wurde als älteste Tochter von Paula Goldstein am 3. Mai 1897 geboren und lebte mit ihrer Familie in der Webergasse 12. Paula Goldsteins Ehemann starb bereits 1926, zwei ihrer Kinder zogen aus Crailsheim weg und sie lebte seither mit ihrer Tochter Irma alleine dort, bis auch diese 1938 nach Nürnberg zog. Im Frühjahr 1942 musste Paula Goldstein in eines der „Judenhäuser“ ziehen und wurde im August desselben Jahres nach Theresienstadt deportiert. 1944 kam sie nach Auschwitz, wo sie ermordet wurde. Ihre Tochter Irma wurde 1941 nach Riga deportiert und kam vermutlich bei einer Massenerschießung ums Leben.
Deportiert, ermordet, geflohen
In der Langen Straße wurden gleich neun Stolpersteine verlegt. Die ersten vier widmen sich der Familie Goldstein, die ihr Modegeschäft in der Lange Straße 27 hatte. Lazarus Hänlein Goldstein, für den Oberbürgermeister Grimmer die Patenschaft übernommen hat, wurde 1855 in Goldbach geboren. 1863 zog die Familie nach Crailsheim, 1878 eröffneten sie ihr erstes Geschäft. Lazarus Hänlein Goldstein verlor seine beiden Ehefrauen und musste den frühen Tod seiner beiden Kinder verkraften, danach gehörten noch die Schwiegertochter Hermine Goldstein und die beiden Enkel Lieselotte und Norbert Helmut Goldstein zur Familie. Lazarus Hänlein Goldstein engagierte sich stark für öffentliche Belange, hatte viele Jahre das Vorsteheramt der jüdischen Gemeinde inne und wurde fünf Mal in den Bürgerausschuss der Stadt gewählt. 1933 wurde dann sein Geschäft boykottiert, 1939 verkaufte er Haus und Geschäft in der Lange Straße, wohnte jedoch weiter im oberen Stockwerk, bis er 1942 nach Theresienstadt deportiert wurde und dort starb. Hermine Goldstein und ihre Kinder war bereits 1933 in die Schweiz ausgewandert, doch bis 1937 besuchte Norbert Goldstein immer wieder seinen Großvater in Crailsheim, bevor die Lage für Juden in Deutschland zu gefährlich wurde. Er absolvierte in der Schweiz eine Ausbildung im Hotelfachgewerbe und wanderte Jahre später nach North Carolina aus, wo er Geschäftsführer einer Hotelkette war. Seine Schwester Lieselotte eröffnete in der Schweiz eine Sprach- und Handelsschule.
Zwei Hausnummern weiter, in der Lange Straße 29 (heute 25), befand sich eines der größten Geschäftshäuser. Dort lebten 1933 Adolf Stein mit seiner Frau Selma Stein sowie seine Schwägerin Mathilde Stein und deren beiden Söhne Alfred und Bernhard Stein. Alle gehörten der jüdischen Glaubensgemeinschaft Crailsheims an. Adolf Stein war Kaufmann und führte zunächst mit seinem Bruder, nach dessen Tod mit seiner Schwägerin Mathilde die väterliche Firma Stein weiter. Aufgrund der Einbußen durch die NS-Gesetzgebung zog er 1934 mit seiner Frau nach Stuttgart, wurde im Zusammenhang mit der Reichspogromnacht verhaftet und 1938 ins KZ nach Dachau verschleppt. Er und seine Frau wurden 1942 in Auschwitz ermordet. Mathilde Stein führte nach dem Wegzug von Adolf Stein zunächst die Eisenwarenhandlung in Crailsheim weiter, bevor sie 1941 nach Riga deportiert und 1942 ermordet wurde. Ihre Kinder Bernhard und Alfred flüchteten 1939 in die USA; Bernhard besuchte die Heimatstadt immer wieder und verstarb bei einem dieser Besuche im Jahr 1961. Er liegt auf dem jüdischen Friedhof in Crailsheim begraben.
Überlebt und ausgewandert
Die letzte Station der Stolperstein-Verlegung führte die Gruppe in die Wilhelmstraße 27, wo Gunter Demnig drei Steine für David Pappenheimer, Betty Essinger und Friedrich Essinger verlegte. David Pappenheimer stammte aus Oberdorf und lebte mit seiner Frau Rosa und der Tochter Bella, genannt Betty, in der Wilhelmstraße 27, wo er als Kaufmann und Immobilienhändler tätig war. 1936 zogen die Eltern nach Nürnberg, wo inzwischen die Familie der Tochter lebte. David Pappenheimer blieb nach dem Tod seiner Frau, der Emigration des Schwiegersohnes Friedrich Essinger und der Deportation der Tochter Betty 1941 alleine zurück, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und verstarb 1943. Betty Essinger lebte seit 1935 in Nürnberg, ihre Tochter brachte sie mit einem Kindertransport nach England in Sicherheit und auch ihr Mann Friedrich emigrierte 1939. Sie selbst blieb zur Pflege der Eltern in Deutschland, wurde 1941 nach Riga verschleppt, überlebte aber und wurde von der „Roten Armee“ befreit. Nach dem Krieg war die Familie wieder vereint, lebte erst in Nürnberg und siedelte dann 1958 in die Schweiz über.
19 Schicksale, die in ihrer Tragik vieles gemeinsam haben. Die Ernsthaftigkeit der Schülerinnen und Schüler bei der Verlegungsaktion zeigte, wie stark die Lebensgeschichten der NS-Opfer auch heute noch die junge Generation berühren, und ihre Vorträge und die musikalische Begleitung ließen die Teilnehmenden definitiv mit Kopf und Herzen über diese 19 Schicksale stolpern.