Verkehrsversuch

Sondersitzung ergebnislos beendet

Die Sondersitzung war gut besucht.

Die Sondersitzung des Gemeinderats zum Thema Verkehrsversuch wurde ergebnislos vertagt. Die Fraktion der GRÜNEN hatte einen entsprechenden Antrag gestellt und berief sich dabei auf die Geschäftsordnung. Nun soll ein neuer Versuch am kommenden Dienstag, 11. Juni, unternommen werden, um über das Thema zu beraten und zu entscheiden.

Ursprünglich für knapp dreieinhalb Monate wollte die Stadtverwaltung nach einem Beschluss des Gemeinderates die Karl- und Wilhelmstraße sperren, um dort eine Verkehrsberuhigung einzurichten und damit die Attraktivität der Innenstadt zu steigern. Nach monatelanger, intensiver Vorbereitungszeit begann der Verkehrsversuch am 7. April und sollte am 21. Juli offiziell enden. Doch bereits nach wenigen Wochen regte sich in der Öffentlichkeit intensiver Widerstand gegen das Vorhaben.
Am 15. Mai wurde schließlich eine Petition bei der Stadtverwaltung eingereicht, die eine vorzeitige Beendigung des Verkehrsversuchs forderte. Unterstützt durch eine Online-Unterschriftensammlung und ausliegende Listen in Ladengeschäften, argumentierte sie, dass die Maßnahmen zu einem Rückgang der Kundenfrequenz und Umsatzeinbußen führten. Kunden und Bürger würden die Innenstadt meiden, was den Individualverkehr beeinträchtigte und die Umwelt durch längere Fahrtzeiten belastete. Die Petition, die eine Neugestaltung der Innenstadt ohne Sperrung für den Autoverkehr forderte, sammelte insgesamt 2.821 Unterschriften, davon 1.771 aus Crailsheim.
Am 13. und 21. Mai berichteten Gewerbetreibende in einem Treffen mit der Stadtverwaltung über Umsatzeinbrüche seit Beginn des Versuchs, während einige gleichbleibende oder steigende Umsätze verzeichneten. Schriftliche Belege wurden dabei nur von Anja Druckenmüller vom gleichnamigen Juwelier vorgelegt. Auch Handwerksunternehmen meldeten Kostensteigerungen durch verlängerte Fahrtzeiten.

Verschiedene Messmethoden und Befragungen
Zur Bewertung des Erfolgs der „Temporären Fußgängerzone“ führte die Stadtverwaltung verschiedene Messmethoden durch, darunter eine repräsentative Befragung der Bürgerschaft, die vor Beginn des Projekts sowohl sehr negative als auch sehr positive Einschätzungen ergab. Eine zweite Befragung war für Juni/Juli 2024 geplant. Die Gewerbetreibenden wurden von der imakomm Akademie befragt, wobei die Bewertungen ebenfalls unterschiedlich ausfielen und die Rücklaufquote bei 349 angeschriebenen Unternehmen mit insgesamt 39 Antworten überschaubar blieb. Eine zweite Befragung war für Juni/Juli und eine dritte für September/Oktober 2024 geplant. Vor dem Versuch wurden den 64 Gewerbetreibenden in der Karl- und Wilhelmstraße persönliche Gespräche angeboten, von dem nur ein Teil der direkt Betroffenen Gebrauch machte. Hier war das durchschnittliche Stimmungsbild leicht positiv. Nach Beginn des Verkehrsversuchs berichteten viele von Umsatz- und Frequenzrückgängen.

Von lächelnden und traurigen Smileys
In der Fußgängerzone konnten Bürger ihre Meinung über beschreibbare Stimmungspostkarten abgeben. Die Karten waren in drei Kategorien unterteilt: Grün (lächelnder Smiley), Gelb (neutraler Smiley) und Rot (trauriger Smiley). Es gab einen Überhang an roten Karten, was auf eine überwiegend negative Resonanz hindeutete. Viele Karten wurden in größeren Mengen der gleichen Farbe und unbeschrieben eingeworfen, was eine genaue Zählung erschwerte. Bei den ausführlich beschriebenen Postkarten, die mehr Zeit für das Ausfüllen erforderten, ergab sich eine Verteilung von etwa 45 Prozent Rot, 20 Prozent Gelb und 35 Prozent Grün. Die Beteiligung über die Info-Stele blieb konstant.
Zusätzlich konnten Bürger über das Online-Tool „Maptionnaire“ georeferenzierte Kommentare und Fotos abgeben. Die meisten Rückmeldungen bezogen sich auf Bereiche mit Verbesserungsbedarf, wie Kapazitätsengpässe am Bullinger Eck, Rückstaus in der Ellwanger Straße und kurze Ampelschaltungen in der Ludwigstraße. Auch wurden zusätzliche Belastungen durch Umfahrungsverkehr in mehreren Straßen gemeldet. Die Auswertung dieser Kommentare sollte nach Abschluss des Verkehrsversuchs erfolgen.

Mobilfunkdaten, Tiefgarage, Rettungsdienste
Anonymisierte Mobilfunkdaten zeigten einen marginalen Zuwachs von 0,9 Prozent bei den Besucherzahlen und einen geringfügigen Rückgang der Aufenthaltsdauer von 1 Stunde 45 Minuten auf 1 Stunde 44 Minuten. Die Auslastung der Rathaus-Tiefgarage blieb stabil, was auf eine konstante Besucherzahl hindeutete. Verkehrszählungen zur Erfassung des Fuß- und Radverkehrs sowie des motorisierten Individual- und Busverkehrs sollten im Juni durchgeführt werden. Rettungsdienste meldeten stabile Einsatzzeiten nach einer anfänglichen Umstellungsphase. Das DRK berichtete von einer durchschnittlichen Fahrtzeitverlängerung von 11,5 Prozent bei Krankentransporten ohne Blaulicht. Der Busverkehr zeigte ausgeglichene Fahrtzeitänderungen, mit kritischen Punkten bei der Einfahrt über die Schönebürgstraße und im Feierabendverkehr.

Verwaltung für reguläre Fortführung oder Kompromiss
Die Verwaltung empfahl in der Sitzungsvorlage die Fortführung des Verkehrsversuchs, da ein vorzeitiges Beenden erhebliche organisatorische und finanzielle Konsequenzen hätte. Dies würde geplante Veranstaltungen gefährden, darunter den Nachhaltigkeitstag, das Kulturwochenende und ein vorgesehener Besuch der Staatssekretärin des Verkehrsministeriums, Elke Zimmer. Der Abbau der straßennahen Gestaltungselemente und des Leih-Mobiliars der Firma City-Decks wäre aufwendig und kostenintensiv. Die Kosten für den Auf- und Abbau sowie die Lieferung, die normalerweise vom Verkehrsministerium getragen wurden, müssen im Falle eines vorzeitigen Abbaus möglicherweise von der Stadt übernommen werden. Zudem müssten die Buscaps entfernt werden, wofür das Straßenbauunternehmen zwei bis drei Wochen Vorlauf benötige, sowie die Ampelschaltung an der Finanzamtskreuzung umgestellt werden, was ebenfalls erst zwei Wochen nach Beauftragung möglich wäre.
Eine umfassende Bewertung des Verkehrsversuchs sollte bis Herbst 2024 erfolgen. Ein vorzeitiger Abbruch würde zudem Datenverluste bedeuten und die Verifizierung bisheriger Meinungen verhindern. Die Verwaltung schlug daher als Kompromiss zumindest eine Fortsetzung des Versuchs bis zum 16. Juni vor, um bereits geplante Erhebungen bis dahin durchführen zu können und somit eine umfassende Bewertung zu ermöglichen. Die Sondersitzung, und somit eine Entscheidung zum vorzeitigen beenden oder fortsetzen des Versuchs, wurde auf Antrag der Fraktion der GRÜNEN vertagt.

Diskussion in der Sondersitzung
Die GRÜNEN beriefen sich auf die Geschäftsordnung, nach der solch wichtige Themen im Hauptausschuss und/oder im Bau- & Sozialausschuss, also in einem oder je nach Zuständigkeit in beiden Ausschüssen, vorberaten werden müsse. Wie und in welcher Weise müsse die Verwaltung entscheiden, sagte der Vorsitzende der Fraktion, Sebastian Karg, als er den Antrag verlas und unter anderem sagte: „Generell sehen wir die rechtmäßige Einberufung der Sitzung nicht zweifelsfrei gegeben, weshalb eine Anfechtbarkeit eines heutigen Beschlusses aus unserer Sicht nicht hundertprozentig ausgeschlossen werden kann. Der Gemeinderat ist einzuberufen, wenn es die Geschäftslage erfordert. Er kann zudem in Notfällen einberufen werden. Beides ist für uns im juristischen Sinne nicht ersichtlich.“ Zudem seien die Sitzungsunterlagen nicht rechtzeitig verschickt worden, fuhr Karg fort. Da der Gemeinderat nach der Wahl ohnehin keine wichtigen Entscheidungen mehr treffen sollte, könnte eine spätere Entscheidung zur Sachlichkeit beitragen. „Zudem wird um die Einladung des Vorstandes des Stadtmarketingvereins mit Rederecht in die entsprechenden Sitzungen gebeten.“

Protest aus anderen Fraktionen
Dieser Antrag stieß bei allen anderen Fraktionen, CDU, SPD, AWV, und auch der BLC auf Protest, Sprecher baten die GRÜNEN eindringlich, den Antrag zurückzunehmen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Gernot Mitsch (SPD) sagte: „Bei Vorberatungen wird es keine neuen Erkenntnisse oder Argumente geben. Das ist nicht in Ordnung gegenüber der Öffentlichkeit, die Sitzung so zu beenden.“ Das sei leider in der Geschäftsordnung so geregelt, erläuterte Oberbürgermeister Dr. Christoph Grimmer, nachdem er den Sachverhalt mit Georg Töws, dem Leiter des Ressorts Verwaltung, geprüft hatte. Uwe Berger (CDU) schloss sich Gernot Mitsch an und erklärte, Oberbürgermeister und Verwaltung hätten das vorhersehen müssen, es habe bereits ähnliche Fälle gegeben, zuletzt in der vergangenen Sitzung bezüglich einer PV-Anlage. Fraktionskollege Michael Klunker schloss sich dem an.
BLC-Stadtrat Peter Gansky sagte: „Heute war Pragmatismus gefragt, nicht der Formalismus der GRÜNEN. Es geht hier nicht nur um Crailsheim, sondern um die Einzelhändler.“ Oberbürgermeister Christoph Grimmer äußerte sein Bedauern über diesen Schritt: „Die Möglichkeiten der Geschäftsordnung erlauben diesen Weg. Leider muss man wohl immer alles im Blick haben. Ich lerne daraus und werde künftig Vorberatungen anberaumen.“ Der Fraktionsvorsitzende der CDU, Wolfgang Lehnert, erklärte, es sei extrem schade. „Wir haben alle mehr als vorberaten, unsere Fraktion erst gestern noch mal, und jetzt gehen wir alle wieder heim.“ Die GRÜNEN zogen ihren Antrag nicht zurück und so blieb Oberbürgermeister Grimmer nach gut zehn Minuten nur noch eben das zu bestätigen: „Leider bleibt mit nichts anderes übrig, als zu verkünden, dass wir jetzt alle nach Hause gehen können.“

Weiteres Vorgehen wird geprüft
Der Verlauf der kurzen Sondersitzung löste bei den zahlreichen Zuschauerinnen und Zuschauern im Saal große Bestürzung aus, sowohl bei Befürwortern wie bei Gegnern eines vorzeitigen Endes. Die CDU-Fraktion hat unmittelbar nach der Sondersitzung ebenfalls einen Antrag eingereicht. Darin beantragt sie die Einberufung einer Sondersitzung „Temporäre Verkehrsberuhigung / Entscheidung hinsichtlich Online-Petition zu vorzeitigem Abbruch“ zum nächstmöglichen Zeitpunkt innerhalb einer Woche mit Vorberatung in den zuständigen Ausschüssen am gleichen Tag. Die Sitzungsunterlagen seien bereits versandt. Die CDU beruft sich ebenfalls auf die Geschäftsordnung und schreibt: „Die CDU-Fraktion bedauert den Antrag der Grünen-Fraktion, der verhinderte, dass das Gremium zu einer Entscheidung kommen konnte wie mit dem Verkehrsversuch weiter verfahren werden soll und möchte dies schnellstmöglich nachholen.“ Man bitte, unabhängig vom Verlauf der Sondersitzung, dass sofort mit allen Messungen und Befragungen begonnen wird.
Das Ressort Verwaltung prüft jetzt das genaue Vorgehen.  Ein neuer Termin für die nächste Sondersitzung stand bis Redaktionsschluss noch nicht fest. Aktuelle Infos dazu finden sich auf der Intranetseite der Stadtverwaltung.

(Erstellt am 05. Juni 2024)