Serie: Hinter den Kulissen

Zentimeterarbeit auf dem Volksfestplatz

Volksfestplatz beim Aufbau
So sieht das Volksfest am Montag vor der Eröffnung aus. Bis zum Abend sind dort 80 Prozent der Fahrgeschäfte und Buden aufgebaut.

In der Stadtblatt-Serie „Hinter den Kulissen – so funktioniert Stadt" werden regelmäßig Bereiche der Verwaltung vorgestellt, die das Leben und die Bürgerinnen und Bürger in der Stadt direkt oder indirekt betreffen. In Teil 5 geht′s mit Marktmeister Rolf Winter auf den Volksfestplatz, wo sich des Crailsheimers liebstes Fest drei Tage vor der Eröffnung mitten im Aufbau befindet.

Es piept, es scheppert, es wird geschrien – dann kommt der 14 Meter lange Wohnwagen mit einem lauten Rumpeln zum Stehen. Ruhe. Es scheint fast, als würden die Männer und Frauen, die geschäftig beim Einweisen geholfen und jeden Zentimeter zum Rangieren ausgenutzt haben, einmal kräftig durchatmen. Wo vor Sekunden noch Schweißperlen über die Stirn liefen, sind nun zufriedene Gesichter auszumachen. „Montags, mitten im Aufbau, sprechen wir die Schausteller am besten gar nicht an. Da herrscht wirklich Stress. Aber dann, wenn alles geschafft ist, sind das die herzlichsten Menschen – wie in einer großen Familie wird sich begrüßt und alle freuen sich, wieder hier zu sein“, erklärt Baubetriebshofmitarbeiter Rolf Winter, der zusammen mit Christian Böttinger als Marktmeister den Aufbau der Crailsheimer fünften Jahreszeit koordiniert.

Marktmeister mit Schausteller im Gespräch
Marktmeister Rolf Winter weist einen Schausteller auf seinen Platz ein.

Und das ist alles andere als einfach. So groß der Volksfestplatz auch ist, so knifflig erweist sich die Aufgabe, alle 93 Schausteller und Betreiber an ihrem jeweiligen Standort unterzubringen. „Man meint es nicht, aber da geht es nicht selten um fünf Zentimeter hin oder her, die die Schausteller dann mit ihren riesigen Tiefladern genau einhalten müssen“, sagt Winter und nennt auch gleich den Grund dafür: Rettungsgassen und Fluchtwege. So locker und entspannt der Ton der beiden Marktmeister ist, wenn sie sich mit den Betreibern unterhalten, so penibel genau achten sie auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften. Sieben davon stehen an diesem Montagmorgen in Form von riesigen Fluchtwege-Fahnen rund um den Laternenmast gegenüber des Boxauto-Fahrgeschäftes. „Jeder Betonsockel wiegt etwa 2,8 Tonnen. Wenn alles aufgebaut ist, verteilen wir diese mit dem Gabelstapler an die verschiedenen Standorte“, sagt Winter.

Die Ruhe vor dem Sturm
Am Kinderkarussell werden die Autos geputzt, im „Chaos Airport“ befestigen zwei Schausteller die noch fehlenden Teile, hier und da werden Absperrgitter aufgebaut und nun kommt schon die Losbude angefahren. Es wird gewunken, gerufen, und Stück für Stück bewegt sich der Hänger in die vorgegebene Markierung. Hochkonzentrierte Mienen, die Professionalität und Routine vermuten lassen. Der Beweis wird keine drei Minuten später geliefert: Der Wagen steht im perfekten Abstand zu seinem Nachbarn. Winter zieht anerkennend die Augenbrauen nach oben und sagt: „Ich habe selbst auch einen Lkw-Führerschein, doch was die Jungs hier innerhalb weniger Minuten machen, dafür bräuchte ich einen halben Tag.“

Es ist 10.00 Uhr, und hier auf dem Volksfestplatz herrscht gewissermaßen eine geschäftige Ruhe. Eine Ruhe, die so gar nicht zu erwarten war, denn der Montag gilt als Hauptaufbautag. Einige Fahrgeschäfte und Buden stehen schon, und auf den ersten Blick sieht das Ganze annähernd nach Volksfest aus. Doch beim Gang über den Platz, vorbei an Gabelstaplern, Teleskopladern, Tiefladern und unzähligen Lastwagen wird schnell klar, dass da noch eine echte Mammutaufgabe vor den Verantwortlichen liegt. „Am späten Vormittag kommen die meisten auf einen Schwung hierhergefahren, und dann wird es richtig hektisch. Viele Schausteller kommen direkt vom Abbau des Nürnberger Volksfestes am Abend zuvor zu uns und wir müssen dann quasi alle auf einmal einweisen“, erläutert Winter.

Zum ersten Mal als Marktmeister
Der 57-Jährige ist dieses Jahr zum ersten Mal mit dabei. Aufgeregt? Aber sicher ist er das. Als Crailsheimer kennt und liebt er das Volksfest, doch was da alles an Logistik, Organisation und Manpower dahintersteckt, das erfährt er selbst erst jetzt so richtig. „Und ich will eben alles richtig machen. Die Vorfreude ist riesig, aber die Arbeit auch“, sagt Winter. Nicht nur er und Böttinger, sondern noch zahlreiche weitere Helfer sorgen dafür, dass das Traditionsfest zum Wochenende hin so aussieht, wie es auszusehen hat. Studenten und Freiwillige sorgen an den Zufahrten zum Platz dafür, dass ab dem Aufbautag keine Privatautos mehr durchfahren, die Stadtwerke sind rund um die Uhr vor Ort und kümmern sich um Wasser, Strom und die Versorgung der Wohnwagenplätze, der Baubetriebshof mäht die Grünflächen an der Hakro-Arena und wickelt sechs Hängerladungen voller Reisig um das Stahlgerüst am Eingang, damit der „Eilooder“ die Gäste später auch standesgemäß begrüßen kann. Dazu kommt die Arbeit im Vorfeld: Die Standorte der Festzelte werden von der Stadtverwaltung per GPS ausgemessen, alle Flächen werden zentimetergenau eingezeichnet, Umleitungsschilder, Parkverbote und Absperrungen werden vorbereitet und aufgebaut und im Jugendbüro wird das Büro eingerichtet, wo die Sondergenehmigungen und Platznummern an die Schausteller ausgegeben werden. „Das restliche Jahr über arbeiten wir beide im Baubetriebshof, ich als Kraftfahrer und Christian Böttinger im Grünwesen. Aber in den fünf Wochen vor dem Volksfest widmen wir unsere ganze Aufmerksamkeit den Vorbereitungen“, so Winter.

Volksfestplatz mit Fluchtwegen im Aufbau
Alles steht bereit und ist doch noch nicht fertig – so auch die riesigen Fluchtwege-Fahnen, die noch verteilt werden müssen.

Hand in Hand
Böttinger fährt gefühlt zum zwanzigsten Mal an diesem Vormittag mit seinem Fahrrad vorbei. Wenn er nicht telefoniert, spricht er mit den Schaustellern oder den Mitarbeitern der Stadtwerke. Zweifelsohne geht hier alles Hand in Hand und selbst in der längeren Corona-Pause scheint keiner etwas verlernt zu haben. „Die Schausteller kommen ja alle schon jahrelang hierher nach Crailsheim. Sie wissen Bescheid. Wir weisen sie ein, zeigen den Platz und verschwinden dann wieder, damit sie in Ruhe aufbauen können. Dann gibt’s am Ende eine kurze Kontrolle, ob alle Abstände passen, und das war’s dann“, sagt Winter.

Die großen Aufbauten brauchen natürlich etwas mehr Zeit – an einem Tag ist das nicht getan. Das Riesenrad beispielsweise kommt mit vier bis fünf Lastwagen, inklusive Container, Packwagen und Wohnwagen, das 54 Meter hohe „Infinity“ steht auch nicht innerhalb von einer Stunde und die Festzelte, ja die haben bereits vor fünf Wochen mit dem Aufbau begonnen. Ein Blick hinein ins Engel-Zelt zeigt jedoch am Montag vor dem Volksfest noch gähnende Leere; eigentlich unvorstellbar, dass hier in wenigen Tagen rund 8.000 Menschen feiern, tanzen und trinken wollen. „Ach was, das geht jetzt vollends schnell!“ Winter lacht. Mit seiner ruhigen, besonnenen Art sieht er nicht das Problem, sondern die Lösung, und das ist wohl genau die richtige Einstellung als Marktmeister. Er ist mit ganzem Herzen dabei, und das muss er auch: Am Montag und Dienstag vor dem Volksfestwochenende arbeiten er und Böttinger in Schichten, von morgens bis abends und teils auch bis Mitternacht. „Wenn einer anruft und nachts ankommt, stehen wir parat und kommen raus zum Platz. Das schlaucht ganz schön. Aber es macht Spaß“, sagt der Marktmeister.

Baubetriebshof beim Aufbau des Eingangstores
Die Eingangstore werden vom Baubetriebshof mit unzähligen Reisigbündeln geschmückt.

Privat und beruflich
Und am Volksfest selbst? Er lächelt. „Das lasse ich mir nicht nehmen. Ich werde natürlich privat mit meiner Familie hingehen, bin aber gleichzeitig auch immer abrufbereit, falls etwas ist.“ Dass das Feiern den Stress des Aufbaus ablöst, trifft in seinem Fall also nicht zu. Erst, wenn sich der Volksfestplatz nach dem Wochenende wieder in den gewohnten Schotterparkplatz verwandelt hat, erst dann kann Winter sagen: „Jetzt ist es geschafft.“

(Erstellt am 16. September 2022)